Freitag, 11. Februar 2011

der mann der in einem loch saß...

hier ein großartiger text von einem guten freund, ANDRÉ RiEN:

Der Mann der in einem Loch saß und sich nicht darüber zu beschweren vermochte
Der Grund warum er in einem Loch saß - an den konnte er sich nicht erinnern. Vielleicht hat es für ihn auch nie einen gegeben. Auf jeden Fall bekam er nie Besuch von einer Maus - um eine zugegebenermaßen verblüffende Parallele zu einer anderen Geschichte auszuräumen. Das in den Boden eingelassene Loch, in dem er saß, maß weniger als zwei Meter in der Tiefe und war kaum mehr als zwei Meter breit. Mit etwas Schwung hätte er es wohl jederzeit verlassen können - nur herauszublicken, das war ihm nicht möglich. Er ließ die rechte Größe dazu missen. Er hätte also dazu auf- und abspringen müssen - das wäre ihm allerdings eine echte Zumutung gewesen. Er unterließ es also.
Auf keinen Fall war er aber über den Umstand am Fuße eines Loches zu sitzen verbittert. Ebenso wenig mochte er sich darüber zu wundern. Denn schließlich hatte er sich selbst in dieses Loch gesetzt, als sei es eigens für ihn bestellt.
Dessen war er sich sicher - nur nicht mehr darüber, was den Anstoß dazu gab, der ihn damals dazu bewog, dieses Loch zu beziehen. Und als was eigentlich?
Die Leute, soweit sie ihn bemerkten und ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten, hatten jedenfalls kaum Verständnis dafür aufbringen können, das er - Tag ein Tag aus - in einem Loch verweilte, ohne das er einer für sie erkennbaren Beschäftigung nachging. Auch herabgeworfene Seile und ihm angebotene Hände, die man ihm noch anfangs in einer aufgeregter Hilfsbereitschaft anbot, die er zuweilen als hysterisch empfand, lehnte er zuerst fröhlich und höflich, bald aber missbilligend und brüsk ab. In einem Loch zu sitzen, das war für ihn keine Attraktion - aus einem solchem herauszukommen schon gar nich. Entsprechend verlangte er keinen Applaus und kein Mitleid
Das führte bald dazu, das dem komischen Kauz keinerlei Beachtung mehr geschenkt wurde. Das mochte an der selektiven Wahrnehmung liegen - oder an etwas anderem. Unter Umständen könnten die Leute ja inzwischen in ihren eigenen - jeweils ebenso für sie bestellten - Löchern sitzen. Überprüfen ließ sich für ihn diese These aber nicht. Nicht für jemanden, der sich auf diese Weise in ein Loch begeben hat.
Der Mann der am Boden eines Loches saß, grübelte aber seit einiger Zeit darüber nach, was ihm die Tage und Nächte zu sagen hatten, die er am Grunde dieses Loches verbrachte. Das bereitete ihm ernste und missverständliche Gedanken. Auf so etwas wollte er nämlich keinen Wert legen - nur das hier der Fall anders lag, als im Falle mit dem Auf- und Abspringen, dessen es schon bedurfte, um aus dem Loch herauszublicken
Ob und wann - wo und wie - wen oder was; das musste in seinen Augen alles reine Spekulation bleiben. Was sich außerhalb seines Loches messen lassen musste, blieb für ihn still. Er hatte nichts übrig für die Metaphysik und schon gar nichts für die Religion. Manchmal geschah es ihm aber doch, dass er sich nicht mehr so recht zu Verhalten vermochte-eben so wie es ein Mann tut, der in einem Loch sitzt. Über diesen Gedanken war er verblüfft.
Diesen Gedanken wischte er allerdings schnell beiseite, indem er sich vorhielt: Am Grunde eines Loches geht es nicht ums Verhalten - am Grunde eines Loches geht es um Haltung.

Alles in allem war er dann wieder ein zufriedener Mann - so zufrieden wie nur ein heroischer Nihilist es sein kann, der Tag ein Tag aus in einem Loch sitzt.